Baldrian

In diesem Wintermonat möchte ich Dir den Baldrian vorstellen. Natürlich findest Du ihn im Winter draußen nicht. Aber seine Wirkung können wir jetzt, in dieser wilden Wandelzeit, gut gebrauchen.

Baldrian ist kein Doldenblütler, auch wenn er ihnen auf den ersten Blick sehr ähnlich sieht. Die Baldriane sind eine eigenen Familie, und es gibt auf der Welt ca. 350 Arten davon. Eine davon ist der Echte Speick (Valeriana celtica L.), eine andere die indische Narde, aus der Salböl hergestellt wurde, das in Alabasterfläschchen teuer verkauft wurde – wir kennen es aus der Bibel, aus der Geschichte von Maria Magdalena, die Jesus Haupt und Füße salbte vor der Passion. Und ein weiterer Verwandter ist unser Ackersalat oder Feldsalat oder Rapunzelsalat.

Aber jetzt zum Baldrian. Der Name leitet sich vom germanischen Gott Baldur her, dem Gott des Lichtes, der Reinheit und Güte. Der botanische Name stammt vom lateinischen valere = stark/kräftig sein, wert sein. Volkstümliche Namen sind Augenwurz, Dreifuß, Wundwurz, Theriakwurzel, Katzenwurz, Mondwurz, Elfenkraut. Der Namensteil –wurz weist darauf hin, dass es die Wurzel ist, die verwendet wird, für manche Anwendungen auch die Blüten. Der Name Theriakwurz erzählt uns, dass die Pflanze Teil der geheimnisvollen Theriak-Mischungen des Mittelalters gegen Pest und andere Seuchen war. Augenwurz hieß sie, weil sie als Augenheilmittel galt, eine Anwendung, die heute in Vergessenheit geraten ist.

Der Botaniker Fabio Colonna (1567-1640) aus Neapel wurde durch Baldrian von der Epilepsie geheilt und widmete ihm zum Dank ein ganzes Buch.

Baldrian ist eine mehrjährige Pflanze. Sie mag feuchte Standorte, Auwälder, Bachläufe, Wegränder, Lichtungen, in voller Sonne, aber auch im Halbschatten. Sie braucht tiefgründige Böden und kann auch im Garten leicht gezogen werden, wenn sie sich nicht, wie in meinem, vom selbst ansiedelt. Man sät die Samen im Herbst oder im Frühjahr aus. Sie sind nur ein halbes Jahr lang keimfähig. Der Baldrian ist ein Lichtkeimer! Also bedecke die Samen bitte nicht mit Erde, sondern drücke sie nur an! Außerdem kannst Du die Wurzelstöcke teilen zur Vermehrung oder die Ausläufer, die sich bilden, abtrennen und neu einpflanzen.

Baldrian blüht im Hochsommer, im Juli und August bis in den September. Der Stängel ist gerillt und wird bis zu 160 cm hoch. Die Blätter sind gefiedert. Die Pflanze bildet eine grundständige Rosette und trägt außerdem Blätter am Stängel. Die Blüten sind sehr klein, fünfzählig, rosa-weiß und stehen doldenartig beieinander. Sie duften ein wenig wie Flieder. Die Wurzel sieht aus wie ein wilder Haarschopf. Sie duften frisch wenig, getrocknet aber recht ausgeprägt. Nicht jeder mag den Duft. Die Katzen mögen ihn sehr. Sie sind bekanntlich ganz verrückt nach Baldrian: Katzenwurz. Die trockenen Blütenstängel stehen auch im Winter noch aufrecht.

Die Orte, wo Baldrian wächst, sind Elfenorte. Hast Du eine Ahnung davon, wie sich solche Orte anfühlen? Die germanische Göttin Nerthus/Hertha reitet dort vorbei; sie benutzt als Zaumzeug für ihr Reittier, einen weißen Hirsch, Hopfenranken und als Gerte Baldrianstängel.

Pfarrer Kneipp hat gesagt: „Alle Formen von nervösen Zuständen, ob im Krampf oder Schmerz, verlangen den Baldrian!“ Und so wird er auch heute meist verwendet. Er wirkt schmerzstillend, blutdrucksenkend, beruhigend, nervenstärkend, schlaffördernd, gegen nervöse Herzbeschwerden, leichte Schilddrüsenüberfunktion, macht schlafbereit durch Entspannung, aber macht nicht müde, sondern fördert sogar die Konzentration. Er ist also ein gutes Mittel bei Prüfungsangst. Er verkürzt die Einschlafphase und fördert das Durchschlafen. Die Gefahr einer Gewöhnung oder Abhängigkeit besteht nicht.

Die Blüten werden im Hochsommer gesammelt, versteht sich, die Wurzel im Herbst gegraben, wenn die Pflanze abgestorben ist. Suche Dir eine mindestens zweijährige, besser dreijährige Pflanze.

Eine Tinktur kannst Du Dir selbst herstellen. Reinige die Wurzel, zerkleinere sie und setze sie mit 45%igem Obstler an. Lasse sie an einem warmen Ort vier Wochen stehen und seihe die Flüssigkeit dann ab. Verwahre sie in einer dunklen Flasche. Tinktur gibt es auch in der Apotheke oder Drogerie zu kaufen.

Im Kräuterhandel gibt es die getrocknete und geschnittene oder pulverisierte Wurzel zu kaufen. Mit der geschnittenen kannst Du Dir einen Tee machen. Dazu setze 2 TL Wurzel mit 1 Tasse Wasser kalt an und lasse das 12 Stunden stehen. Dann seihe ab und erwärme den Tee etwas, wenn Du möchtest. Oder Du setzt 1 TL Wurzel mit einer Tasse Wasser auf, erhitzt ihn bis zum Sieden, seihst nach 10 Minuten ab. 2 Tassen pro Tag sind gut. Die pulverisierte Wurzel kann man auch ins Essen mischen oder ins Futter von Tieren, denn auch Tieren (außer Katzen) kann Baldrian sehr gut tun, wenn sie nervös sind.

Du kannst Dir auch ein kleines Schlafkissen herstellen, das Du mit Baldrianblüten, Melisse und Hopfenzapfen füllst.

Wenn Du Deinen müden Augen etwas Gutes tun willst, mische Dir 2 Teile Baldrianblüten mit je 1 Teil Augentrost (Euphrasia) und Weinraute (Ruta graveolens), nimm von der Mischung 1 Tl auf eine Tasse kochendes Wasser und verwende den Tee als Kompresse.

Die homöopatische Zubereitung – bis zur D6 – kann auch gegen Nervosität, Kopfschmerzen, Wechseljahrsbeschwerden und Schlaflosigkeit angewandt werden. Die TCM beschreibt die Wirkung als warm. Baldrian nährt das Herz- und Nieren-Yang und tonisiert das Milz-Qi. Die zugeordneten Organe sind Herz und Lunge.

Dem Baldrian werden als Planeten Mond und Merkur zugeordnet.

Zubereitung aus Baldrian bitte nicht überdosieren! Es ist nicht schädlich, aber die Wirkung kann sich umkehren.

Baldrian ist ein nützlicher Begleiter im Gemüsegarten. Er zieht Regenwürmer an, die den Boden lockern. Baldrianextrakt ist zur Saatgutbeize gut geeignet (nicht allerdings für Leguminosen) und lockt die Blühwilligkeit von Topfpflanzen. Mit Baldrian wird auch die Obstblüte vor Spätfrösten geschützt. Er bildet einen Schutzfilm um die Blüten.

Na, ist er Dir jetzt sympathisch, der Baldrian? Kennst Du ihn aus dem Wald, von einem Bach- oder Flussufer oder einer feuchten Wiese in Deiner Nähe? Sieht er nicht zauberhaft aus? Zierlich und leicht wie eine Elfe und doch kräftig. Wenn Du ihn noch nicht kennst, wirst Du ihn gewiss im nächsten Sommer entdecken, denn er ist nicht selten in unserer Landschaft.