Der grünweiße Drache Serpentin
Es war einmal, vor Jahrhunderten, ein Ritter mit Namen Kunibert. Der hatte den ganzen Vormittag auf dem Turnierplatz vor seiner Burg trainiert – das ist nötig, wenn einer mit einer schweren Rüstung im Kampf bestehen will. Nun stand er im Burghof und rief nach seinem Knappen, damit der ihm aus der Rüstung helfe. Der Knappe kam nicht. Hatte er den Ruf nicht gehört? Kunibert rief noch einmal, lauter. Keine Antwort. Wo war der Kerl? Der Ritter rief nach dem Pferdeknecht, aber auch der hörte ihn offenbar nicht. Er schrie schließlich sogar nach dem Küchenjungen. Jedoch von dem kam ebenso wenig eine Antwort. Was war hier los? Wo waren sie nur alle? War er ganz allein in der Burg? In seiner Not pfiff er seinem Hund Smello. Und der war gleich zur Stelle. Der Ritter sandte ihn aus, nach irgendeinem menschlichen Wesen zu suchen, das ihm aus der Rüstung helfen könnte. Der brave Hund lief los.
Während Kunibert nun also auf seine Rückkehr wartete, packten ihn düstere Gedanken. Was war nur geschehen auf der Burg, während er auf dem Turnierplatz sich tummelte? Musste er nun alle Tage seines Lebens hier allein in seiner Burg, schlimmer noch: in voller Rüstung, verbringen? Oder mit dem schweren Gewicht zum nächsten Schmied wandern, sich dem allgemeinen Spott preisgeben, um befreit zu werden. Der Schmied wohnte viele Meilen entfernt!
Kunibert begann gerade, in Verzweiflung zu versinken, als sein Hund laut bellend hereingestürmt kam. Hinter ihm betrat eine Frau den Burghof. Sie war sehr schön und hatte eine königliche Ausstrahlung. Kunibert schleppte sich auf sie zu und begrüßte sie: „Bist du es, die sich meiner erbarmt? Wer bist du? Und was verlangst du von mir? Ich bin Kunibert, Herr dieser Burg.“
„Ich bin Prinzessin Nimue aus dem Land hinter den Bergen. Ich hörte deinen Hund für dich rufen. Also bin ich gekommen, um zu sehen, was ich tun kann. Und nein: Ich verlange nichts dafür. Wie ich sehe, bist du in Verlegenheit, kannst deine Rüstung nicht ablegen. Warte einen Augenblick!“
Nimue stieß einen hohen Schrei aus. Und im nächsten Augenblick schoss ein Drache durchs Hoftor und auf die drei zu. Kunibert wurden die Knie weich; mit solcher Hilfe hatte er nicht gerechnet. Aber er fasste sich sofort wieder, als er sah, dass der Drache sich seiner Herrin zu Füßen legte und sie erwartungsvoll anblickte. „Das ist der grünweiße Drache Serpentin“, stellte ihn die Prinzessin vor. „Wenn du keine Angst hast und ganz still hältst, kann er deine Rüstung aufbeißen. Willst du das?“ „Ja“, antwortete der Ritter, „ich will es, auch wenn ich ein bisschen zittere.“ „Also gut. Auf, Serpentin, an die Arbeit!“
Und der Drache sprang auf, umrundete Kunibert mehrmals, fand die Verschlüsse auf der Rückseite der Rüstung und biss sie mit seinen scharfen, schneeweißen Zähnen durch. Die Eisenteile fielen von Kunibert ab, und er fühlte sich so erleichtert und befreit, dass er vor der Prinzessin aufs Knie sank, ihr die Hand küsste und ihr seine Dienste anbot. „Wenn du in meinen Dienst treten willst“, sagte sie leise, aber bestimmt, „so sei mein Liebster. Als Paar können wir allen Menschen dienen. Und danke nicht mir, sondern Serpentin!“ Sie bot ihm ihren Mund, und er umschlang sie mit den Armen und küsste sie. Und indem sie sich miteinander verbanden, wurden sie zum Segen für alle, denen sie begegneten. Serpentin war immer bei ihnen, aber nur wenige sahen ihn.